Walter Gross

(…) Und als Berlins Schauspieler nach 1945 wieder anfingen, war Walter Gross dabei, ob im Hebbel- oder Renaissance-Theater (“Onkel Harry”), ob im Film (“Sag die Wahrheit”, “Nächte am Nil” und “Maharadschah wider Willen”) oder bei Schäffers am Kabarett. Und dann saßen sie Anfang 1950 eines Abends bei Günter Neumann in einer Privatgesellschaft, und aus ihrem Jux und Trall entstanden die “Insulaner”. Gross hielt eine Rede, wie er sie den Rollkutschern in seiner Speditionszeit abgelauscht hatte, und der SED-Funktionär war geboren. (…)

aus “Nacht-Depesche” vom 7. Mai 1951

Volksschauspieler, “Funzionär”
Zum Tod von Walter Gross

Er konnte den Mund nicht halten, und das hat ihm große Popularität bei seinem Publikum, gelegentlich aber auch großen Ärger bei den Machthabern eingebracht. Als er 1934 im kabarettistischen Schulterschluß mit Werner Finck und Günther Lüders im Kabarett “Tingeltangel” wieder einmal Aufmüpfiges gegen die Nazis vorgebracht hatte, machten die ihn für längere Zeit mundtot, indem sie ihn einige Monate ins KZ steckten und seine Entlassung mit einem Auftrittsverbot verbanden.

Walter Gross, 1903 als Sohn eines Hoteliers in Eberswalde geboren, studierte an der Schauspielschule des Deutschen Theaters. Daß er im Bannkreis Max Reinhardts auch gelernt hatte, Pointen an den Mann zu bringen, konnte er in den zwanziger Jahren im “Kabarett der Komiker” und auf den Kleinkunstbühnen Friedrich Hollaenders beweisen. Bei den “Insulanern” Günter Neumanns, wo er nach dem Kriege als “Funzionär” die Funktionäre des Arbeiter- und Bauernstaates zu karikieren verstand wie wenige neben ihm, wurde er geradezu eine berlinische Institution.
Seine spillerige Gestalt mit dem genervten Gesicht sicherte vielen Theateraufführungen, rund 120 Fernsehproduktionen und 160 Kinofilmen verdienten Beifall. Die Nachricht, daß er nun, 86jährig und nach langem, altersbedingtem Schweigen, einem Herzversagen erlegen ist, kam nicht unerwartet. Sie stimmt gleichwohl alle traurig, die der Überzeugung sind, daß die Lücke, die Walter Gross in der Berliner Kabarett- und Theaterszene hinterläßt, nicht leicht zu füllen sein wird. Es muß immer einen geben, der den Mund nicht halten kann.

Der Tagesspiegel – 18. Mai 1989

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